Lieber auf Abstand

Die Zahl der Infizierten mit dem neuartigen Coronavirus steigt rapide, denn jeder Infizierte steckt weitere Personen an. Je weniger es sind, desto besser. Die Zahl zu senken kann gelingen, wenn wir uns voneinander fernhalten. Eine Simulation.

– von Dilay Avci, Michael Kreil, Hakan Tanriverdi und Maximilian Zierer

English version: Keep Your Distance – Why Social Distancing is Key

Seit dem 21. März gelten in Bayern umfangreiche Ausgangsbeschränkungen, in ganz Deutschland sind Kontaktverbote in Kraft. Das öffentliche Leben soll soweit wie möglich heruntergefahren werden. Ein sehr harter Einschnitt, der damit begründet wird, dass das neuartige Coronavirus nur auf diese Art eingedämmt werden könne. „Social Distancing“ heißt das Schlagwort, also Orte mit vielen Menschen zu meiden und möglichst wenige zu treffen. Denn das Vermeiden von persönlichen Kontakten ist essentiell, um die Ausbreitung des Virus zu bremsen. Das zeigen wir hier in einer Simulation.

Um zu verstehen, wie schnell sich Virusinfektionen verbreiten, achten Epidemiologen vor allem auf einen Wert: die Reproduktionszahl. Sie beschreibt, wie viele Personen ein infizierter Mensch ansteckt. Für das neuartige Coronavirus geht das Robert-Koch-Institut von einer Basisreproduktionszahl von 2,4 bis 3,3 aus. Das heißt: Ohne Gegenmaßnahmen steckt jede infizierte Person etwa drei weitere Personen an. Damit sich die Epidemie langsamer ausbreitet, muss die Reproduktionszahl möglichst gesenkt werden. Denn je weniger Menschen gleichzeitig infiziert sind, desto besser für das Gesundheitssystem. Schon kleine Änderungen können eine große Wirkung entfalten. Anhand der folgenden schematischen Darstellung können Sie den Effekt beobachten, indem Sie die Position des Schiebereglers verändern.

Je kleiner die Reproduktionszahl, desto besser

  • insgesamt infiziert: 30 %
  • maximal gleichzeitig krank: 94%

Eine Reproduktionszahl von 3, also ohne Maßnahmen wie sozialer Distanzierung, führt zu einer sehr steilen Kurve. Das Virus breitet sich also schneller aus. Mehr Menschen erkranken gleichzeitig und können deshalb schlechter versorgt werden. Je kleiner die Reproduktionszahl, desto weniger Menschen werden zum selben Zeitpunkt krank. Und genau darum gehe es, wie die Deutsche Gesellschaft für Epidemiologie in einer aktuellen Stellungnahme betont: „Die große Gefahr eines ungehinderten Ausbruchverlaufs besteht darin, dass in einem kurzen Zeitraum eine sehr große Zahl an Patienten eine Behandlung auf Intensivstationen benötigen würde und das Gesundheitssystem hiervon sehr schnell überfordert wäre.”

Um die Ausbreitung zu bremsen, muss die Reproduktionszahl also möglichst gesenkt werden, am besten auf 1 oder niedriger. Wie kann das gelingen?

Experten sprechen sich dafür aus, Nähe zu anderen Menschen so gut es geht zu beschränken. Deshalb wurden bereits Großveranstaltungen abgesagt, Schulen und Universitäten geschlossen und nun auch Ausgangsbeschränkungen verhängt. Was passieren kann, wenn sich das Virus ausbreitet, ohne dass solche Gegenmaßnahmen getroffen werden, zeigt die folgende Simulation mit einer fiktiven Bevölkerung von 300 Personen.

Menschen halten keinen Abstand – Simulation ohne Soziale Distanzierung

Gesund: 0 %
Infiziert: 0 %
Genesen: 0 %

Jeder graue Punkt () entspricht einer gesunden Person, jeder rote Punkt () einer infizierten Person. Die Punkte bewegen sich völlig frei. Treffen sie aufeinander, wird das Virus weitergetragen und eine gesunde Person wird ebenfalls infiziert. Ohne soziale Distanzierung geht dieser Prozess sehr schnell. Erst nach einiger Zeit wird eine kranke Person gesund und immun gegen das Virus (blauer Punkt: ). Dann kann die Person keine weiteren Personen mehr anstecken. Die Idee für diese Simulation haben wir übrigens zuerst bei den Kollegen der Washington Post gesehen.

Es zeigt sich: Binnen kurzer Zeit ist ein Großteil der simulierten Bevölkerung gleichzeitig mit dem Virus infiziert. In der Realität würde das bedeuten: das Gesundheitssystem wird überlastet. Mit sozialer Distanzierung steigt die Infektionsrate dagegen deutlich langsamer an.

Menschen halten Abstand – Simulation mit Sozialer Distanzierung

Gesund: 0 %
Infiziert: 0 %
Genesen: 0 %

In dieser Simulation ist nur ein Fünftel der Bevölkerung in Bewegung. Der Rest verhält sich nach den empfohlenen und angeordneten Maßnahmen und bleibt zu Hause. Die Simulation wird bei jedem Start neu berechnet, aber die Tendenz ist immer gleich: Mit sozialer Distanzierung breitet sich das Virus deutlich langsamer aus als ohne. In der Realität könnte das Gesundheitssystem damit besser umgehen.

„Letztlich geht es darum, dass nicht alle auf einmal krank werden“, fasst Prof. Uta Merle vom Universitätsklinikum Heidelberg zusammen. „Insofern sollte jeder Einzelne schauen, dass er vernünftiges Verhalten zeigt. Das Virus ist da, wird da sein, und es wird um uns zirkulieren. Und je länger wir das hinauszögern können, diese Phase, in der sich einer nach dem anderen ansteckt, umso besser können die Krankenhäuser damit umgehen.“

Über das Projekt

„Lieber auf Abstand“ ist ein Projekt von BR Data.

Methodik „Menschenmenge": Für die Visualisierung gehen wir in dieser schematischen Darstellung von 300 Personen aus, hier als Punkte angezeigt. Zu Beginn ist einer der Punkte infiziert und bewegt sich durch den Raum. Kollidieren zwei Punkte, findet eine Infektion statt und der graue Punkt färbt sich rot. Nach sechs Sekunden ist die Person wieder gesund und wird in unserem Farbschema blau. Sie kann nicht mehr angesteckt werden. Die Idee dazu kommt aus einem Artikel der Washington Post.

Methodik „Kurvendiagramm": Um die gesellschaftsweite Ausbreitung des Virus schematisch verständlich zu machen, haben wir uns am SEIR-Modell orientiert (Susceptible, Exposed, Infectious, Recovered). Das Modell geht davon aus, dass sich Menschen, die anfällig für eine Infektion und ungeschützt sind, anstecken und dank des Immunsystems wieder gesund werden. Wir haben uns an den Zahlen orientiert, die auch die Deutsche Gesellschaft für Epidemiologie in dieser Stellungnahme (PDF) verwendet. Die Inkubationszeit, also die Zeit zwischen der Ansteckung mit dem Virus und dem Ausbrechen der Krankheit, beträgt in unserem Modell 5,5 Tage. Die Dauer, in der eine Infektion möglich ist, bevor die Person in Quarantäne geht, haben wir mit drei Tagen festgelegt.

Veröffentlicht am 20.03.2020, zuletzt aktualisiert am 27.03.2020

Autoren: Dilay Avci, Michael Kreil, Hakan Tanriverdi und Maximilian Zierer
Redaktion: Uli Köppen, Miriam Stumpfe
Grafiken: Michael Kreil
Programmierung: Michael Kreil und Steffen Kühne